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Jagd auf ein Phantom

Veröffentlicht am: 01.10.2014


Ein klassischer Fall von Diskriminierung: Die Zeitarbeit wird stranguliert und verteufelt. Das alte Lohndrücker-Klischee ist überholt. Ein Blog von Henning Krumrey, dem stellvertretenden Chefredakteur der Wirtschaftswoche.

Es wird wieder versprochen. Diesmal geht’s zugunsten der Unternehmer und Manager. Genug sei es nun mit sozialdemokratischer Umverteilung und Regulierung, versicherte die Bundeskanzlerin der versammelten Wirtschaft beim „Tag der Deutschen Industrie“. Auch die Ankündigung des zuständigen Ministers, mehr für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu tun, soll die Gemüter beruhigen.

Vorsicht ist geboten: Der kleinere Koalitionär arbeitet weiter an genau jenen Belastungen, die Union und SPD im Regierungsvertrag aufgeschrieben haben – und auf den ja auch die CSU pocht, wenn es um die Durchsetzung der Maut geht. Was in der Koalitionsbibel steht, das geschehe.

Entsprechend zählte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vergangene Woche auch die „Regulierung von Zeit- und Leiharbeit“ als erstes der kommenden Vorhaben auf, mit denen die Genossen ihre Bilanz als führende Sozialingenieure des Landes aufpolieren wollen. Wer sich die Realität ansieht, muss sich allerdings fragen: Warum nur? Die Zahl der Zeitarbeiter stagniert bei gut 800 000, zwei Prozent aller Beschäftigten.

Unter dem Druck drohender Regulierung hat sich die Branche gewandelt: Hat Tarifverträge abgeschlossen mit, ja: mit DGB-Gewerkschaften. Hat einen Mindestlohn für ihre Betriebe akzeptiert und das Verbot, Zeitarbeiter als Streikbrecher einzusetzen. Die Zementierung eines Kartells hat zwar nichts mit Marktwirtschaft zu tun, hilft aber dem betrieblichen Frieden. Seit zwei Jahren gelten in mehr als einem halben Dutzend Branchen Tarifzuschläge, die den Wettbewerb durch Zeitarbeiter weiter einschränken. Stufenweise steigen mit zunehmender Verweildauer im Betrieb die Vergütungen der Leihkräfte, nach neun Monaten auf maximal 150 Prozent des Tariflohns in der Zeitarbeit. Der Abstand zum Stammmitarbeiter am Bandplatz oder Computer nebenan schmilzt dahin.

Das Ergebnis ist beachtlich: 90 Prozent aller Zeitarbeiter, meldet die Bundesagentur für Arbeit, sind normal sozialversichert. Ebenfalls 90 Prozent arbeiten Vollzeit. Rund 80 Prozent sind unbefristet eingestellt. Nichts also von prekären Jobs. Nur knapp ein Zehntel ist geringfügig beschäftigt. Gerade mal 43 000 Menschen haben nur diesen einen Minijob. Kündigungsschutz? Ganz normal. Der Koalitionsvertrag ist also in weiten Teilen erfüllt und überholt, eine gesetzliche Regelung gar nicht mehr nötig.

Die Politik ficht das nicht an. Im Gegenteil: Die Jagd auf das Phantom geht weiter. In seinem zum Jahresende geplanten Gesetzentwurf will das Arbeitsministerium noch die gleiche Bezahlung wie im Entleihbetrieb nach neun Monaten durchsetzen. Und obendrauf festschreiben, dass jeder Einsatz nach spätestens 18 Monaten abzubrechen ist – obwohl die Leiharbeiter dann doch gar keine unfaire Konkurrenz mehr sein können, weil sie ja schon seit einem Dreivierteljahr genauso bezahlt werden wie die regulären Kollegen.

Das gefährdet die gesamte Volkswirtschaft, weil die Flexibilität sinkt. Der betriebliche Aufwand steigt, weil die 18-Monate-Grenze eingespielte Arbeitsabläufe zerschlägt: Beim Ersatz für Elternzeitler genauso wie bei Spezialistenprojekten.

Wenn es sich um vollkommen normale Arbeitsplätze handelt – Vollzeit, sozialversicherungspflichtig, mit Tarifvertrag, Mindestlohn und Kündigungsschutz – warum sollte dieser Wirtschaftszweig dann anders behandelt werden als jeder andere? Nur weil der Arbeitgeber kein Elektro-, Handels- oder Automobilunternehmen ist, sondern eine Zeitarbeitsfirma? Warum sollten hier Einschränkungen nötig sein?

Hier wird eine Branche gezielt diskriminiert. Es wird definiert, dass das sozialversicherungspflichtige Vollzeit-Arbeitsverhältnis bei der Zeitarbeit minderwertig sei, obwohl es von Bezahlung und Arbeitsvertragsgestaltung dem im Entleihbetrieb entspricht. Ein Schmuddeljob eben. Doch keine politische Korrektheit jault auf.
Schade: Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Branche fällt nicht unter das Antidiskriminierungsgesetz.

(Quelle: www.blog.wiwo.de/chefsache/2014/09/27)